16 Februar, 2006

Etwas fast Juristisches

Nachrichten aus einer IT-Musterkanzlei




wenn ich zwischen unzähligen Betreffs meiner abgerufenen E-Mails wie

· “HaHa U have a real small Penis carrycot” von Virginaia Yolanda
· „Hi … want pills ? By Viagra and other meds” von Glen I. Rily

und

· “Havent seen you around” von Inez Davenport

vergeblich die Mail meiner Mandanten suche, verharre ich plötzlich bei der Mail von

Laverne Haas

“Hey, feeling small ...”



Oh ja,

in Anbetracht der Massen von Mails, die mir völlig unbekannte Menschen zusenden, fühle ich mich klein manchmal regelrecht hilflos.

Vor allem, wenn ich dann feststelle, daß ich im Eifer des Gefechtes, die Mail meines Mandanten gelöscht habe,

kapituliere ich vor der Größe der Technik im Bewusstsein, dass wir eine
IT-Musterkanzlei sind.


Eine IT-Musterkanzlei zu sein bringt viele Vorteile...

Früher bekam man Unterlagen, Fotos, Briefe von Mandanten per Post. Die lagen dann einfach so in der Postmappe und man konnte sie einfach so lesen oder einfach so betrachten.

Heute ermöglicht einem die Technik, dass man mit etwas mehr Zeit und Muße an die lapidaren Dinge des Lebens herangehen muss.

Man sollte schon beim Abrufen der Mails etwas mehr Zeit mitbringen. So benötigt der Abruf der 183 neuen Nachrichten schon ein paar Augenblicke, dann die eigentliche Suche nach der Mail des Mandanten ist nicht so schwierig, denn die meisten Mails mit englischem Betreff und englisch klingenden Namen sind Spam - unerwünschte e-Mailwerbung.
Weg mit ... in den Papierkorb. Das weiß auch der automatische Spamfilter.

Schade nur, dass regelmäßig die Mails unserer englischsprachigen Mandanten bei der Grobauswahl durchs Raster fallen und weggefiltert werden.

Irgendwann ist die Mail zwischen dem Unrat von Viagra und Penisverlängerungen gefunden.
Allerdings sind die in der Mandanten-e-Mail angekündigten Anhänge nicht angefügt.

Ein kurzer Anruf von einer halben Stunde bei dem Mandanten verbessert das direkte Anwalt-Mandant-Verhältnis, denn man erfährt jetzt mündlich, was schon in der Mail zu lesen war, nur etwas ausführlicher und gleich verständlich.

Und da sagt noch einer - Technik - verschlechtere den zwischenmenschlichen Kontakt.

Die neue Mail, diesmal mit Anhängen kommt, allerdings dauert der Abruf diesmal etwa 8 Minuten. Unser Mandant hat zahlreiche Fotos in unübersichtlichem Format als Anhang vorgesehen.

Die Fotos auf ein vernünftiges Format zu bringen und zu der Akte zu speichern dauert dann wieder eine ganze Weile.

Aber der Absturz des Rechners und das Wiederhochfahren bringt eine kleine Pause mit sich, in der ich mir einen Kaffee aus der Küche holen kann.

Freiräume durch Technik.

Die Computerabstürze haben auch dazu geführt, dass wir ein besonders gutes Standing bei unserem Finanzamt haben.

Die Buchhaltung wird intern von mir gemacht. Ende 2002 wurde bei uns ein neues Netzwerk installiert, dabei sollten auch die Buchhaltungsdaten auf dem Server gespeichert werden. Schade nur, dass das Buchhaltungsprogramm sich dann weigerte die ganzen gebuchten Daten herauszugeben, bzw. vom Server wieder einzulesen.

Das Programm behauptete wahrheitswidrig, es würde schon ein Nutzer zugreifen und ehe der nicht abgemeldet sei, würde es gar nichts herausgeben. So.

Derart geprellt suchten wir Hilfe bei den Fachleuten...

Die Hotline wusste dazu auch nichts und unser IT-Fachmann erklärte, er könne den Quellcode des Programmes knacken, um dann an die Daten zu kommen, dafür würde er aber etwa ein bis zwei Wochen brauchen und billig würde das auch nicht. Meine Kenntnisse zum Urheberrecht rotierten.

In Anbetracht dieser bedenklichen Sach- und Rechtslage, wurde 2002 dann noch mal neu eingebucht. Sämtliche Fristverlängerungen wurden vom Finanzamt gewährt und das Mitleid aller Beamten und Sachbearbeiter ist mir seit dieser Geschichte gewiss.
Bei jedem Telefonat erinnert sich der Sachbearbeiter an mein Schicksal mit der Buchhaltung für 2002:
„Ach ja, Sie hatten doch so Ärger mit Ihrem Buchhaltungsprogramm - schlimm - Sie Arme - ja ja ich ärgere mich auch oft über die Dinger.“

Die Marktführer modernster Bürotechnik

Seit 2003 haben wir auch den - selbsternannten - Marktführer der Anwaltsprogramme eingekauft.
So ein Anwaltsprogramm ist enorme Arbeitserleichterung im Büroalltag,

wenn man die Daten richtig einpflegt,
wenn man sein Passwort nicht vergisst
wenn man ...

Natürlich gab es am Anfang ein paar Probleme, die wir nun weitgehend im Griff haben.
Allerdings treten die Probleme mit jedem Update wieder auf und es schallt der Ruf durch unsere Kanzlei:

Achtung schnell zwischenspeichern, der Server stürzt gerade ab !

Da kommt Bewegung in die Kanzlei. Die Gedanken zu einem flexiblen Arbeitsplatz werden ad hoc umgesetzt.

Aber auch der Geist wird durch solche Intermezzi geschult:
Spaß machen in dem Zusammenhang Anrufe in der Hotline. Eine echte Herausforderung für Liebhaber von Geduldsspielen:
Nachdem wir mit
„Ja, Ja, wir haben den Rechner schon mal runter und wieder hoch gefahren“
„Ja, Ja, wir haben auch alle Kabel kontrolliert.“
ein erfolgreiches Entreé hatten, kommt die geballte Erleichterung im Hauptteil:
„ja da können wir Ihnen auch nicht helfen, das ist kein Problem des Programms. Sicherlich ein „Bug“ in Microsoft Word.“
oder verkaufsfördernd die Frage:
„wann hatten Sie Ihre letzte Schulung auf unser Programm?“

Manchmal kommt auch mit kritischem Unterton:
„Das ist keine korrekte Fehlermeldung Frau ...- ich weiß gar nicht was ihr Problem ist. So kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“

Wenn ich eine im Sinne dieses Hotlinemenschen korrekte Fehlermeldung abgeben könnte, wäre ich sicherlich auch in der Lage den Fehler selbst zu beheben.


Da muss man kreativ werden, man entwickelt sich um die Technik herum, denn der Computer hilft bei der Lösung der Probleme, die man ohne Computer nicht hätte.

Das ist das schöne an der IT-Musterkanzlei, man bleibt flexibel.

Wer sagt das Technik unbeweglich und faul macht der irrt:

Gerne kriechen wir auch unter unseren Tischen herum und kontrollieren Kabel.
Das hält zusätzlich fit.


Manchmal, wenn ich dann die Mails der

Laverne Haas

“Hey, feeling small ...”

und der ganzen anderen unbekannten Menschen notgedrungen lese, halte ich inne

und frage mich:

wie war das früher,

als man sich als Anwalt nur der juristischen Tätigkeit gewidmet hat,
als man seine Zeit mit Büchern und Schriftsätze verbrachte,
als man nicht via Mailsystem im Outlook, sondern persönlich miteinander sprach.

Ein fernes „Fräulein Schmidt bitte zum Diktat“ klingt in meinem Ohr.

Die Zeiten in denen Schreibpult und Tintenfass die Anwaltskanzlei bestimmten
Ich meine die spitze Feder des Anwaltes über das Papier kratzen zu hören
und im Schreibzimmer den Anschlag auf einer alten Schreibmaschine.


Ach ja, die Zeit....


Lautes Rauschen aus dem Zimmer nebenan ...

Ich werde aus meinen Überlegungen gerissen:

Es ist wieder Mittwochnachmittag und der Kollege fröhnt seiner Lieblingsbeschäftigung
„Scannen“

und mir wird eins klar:

Technik macht auch Spaß