05 Dezember, 2006

Anwälte braucht das Land

Mit dem geplanten Rechtsdienstleistungsgesetz kommen gravierende, strukturelle gesellschaftspolitische Änderungen auf die Bürger zu.

So mancher Journalist verkündet dann stolz, dass es endlich den Anwälten an den Kragen geht. Keiner bedenkt dabei die ureigenen Qualitäten der anwaltlichen Beratung, die der Gesellschaft verloren gehen werden.

Nun in Zukunft muss der Bürger vielleicht auf den anwaltlichen Berater verzichten. Ersatz bieten Banken und Versicherungen Finanzdienstleister und sonstige die sogar gratis beraten.

Ist das besser ? Klar ruft das Sparbrötchen.

Aber ist das wirklich so gratis ? Hat der Berater nur das Wohl des Beratenen im Auge oder soll der Ratsuchende in eine bestimmte Richtung beraten werden. Führt die Gratisberatung dazu, dass der Beratene eine Versicherung, Heizdecke oder sonstiges vom Berater kauft, muss man das Wort "Gratis" in Frage stellen.

Fakt ist, das Rechtsdienstleistungsgesetz wird vielen kleinen und mittleren Kanzleien das Genick brechen und die Beratungslandschaft wird sich erheblich verändern. Wer das nur mit Jubeln und Schadenfreude in Gedenken an seinen letzten "teuren" Anwalt quittiert, denkt sicherlich zu kurz...

Ein paar Gedanken dazu bietet mein Vortragsbeitrag zum Redenerwettstreit auf dem Deutschen Anwaltstag 2006 in Köln:

Rechtsdienstleister mit Recht am Markt ?

Dieser Frage müssen wir Anwälte uns stellen. Denn das geplante Rechtsdienstleistungsgesetz rollt langsam und anscheinend unaufhaltbar auf uns zu.

(Istanalyse)
Aber längst schon sind sie ja unter uns, diese Rechtsdienstleister...
Auf leisen Sohlen schleichen sie sich - häufig sind es Banken, Versicherungen und Steuerberater - in die Rechtsberatung. So ganz nebenbei...

So ganz nebenbei wird beraten -
So ganz nebenbei werden Verträge gestaltet –

Gängig sind Arbeits- und Mietverträge,
Tollkühn geht es weiter vom Gesellschaftsvertrag, über den Ehevertrag bis hin zum Testament.
Diese Rechtsdienstleister machen so etwas schon seit vielen Jahren – aber unter der Hand, denn so etwas war bislang noch illegal und verstieß gegen das Rechtsberatungsgesetz. Fremde Rechtsangelegenheiten durften geschäftsmäßig nur von Rechtsanwälten besorgt werden oder von solchen Personen, denen eine behördliche Erlaubnis erteilt worden war.

Mit dem geplanten Rechtsdienstleistungsgesetz drängt nun ganz neue legale Konkurrenz auf den Rechtsberatungsmarkt. Das heißt was vorher still und leise geschah kann jetzt ganz offiziell angeboten werden.

So eröffnet das geplante Rechtsdienstleistungsgesetz ungeahnte Möglichkeiten und neue Märkte. Banken, Steuer- und Unternehmensberatungen können als legale Rechtsdienstleister dann das was, sie ohnehin schon die ganze Zeit getan haben, nämlich rechtlich beraten, nun werbewirksam z.B. als kostenlosen Zusatzbonus anbieten.

Hurra ! Statt den unkalkulierbaren Kosten beim Anwalt – endlich die günstige Alternative: einfache kostenlose Nebenbeiberatung bei der Bank.

Kostenlos, das fragt sich, wenn nebenbei teuere Versicherungsprodukte in die komplette Estate-Planung einbezogen werden.
Dass die Qualität vielleicht nicht stimmt oder die Versprechungen so nicht eingehalten werden, zeigt sich dann vielleicht erst Jahre später.

Wird es dann noch Anwälte geben ? Werden die Anwälte diesen Verdrängungswettbewerb überhaupt überleben ?

Auch wenn die Mehrzahl der juristischen Stimmen von der Erforderlichkeit des Rechtsberatungsgesetzes sowie seiner Verfassungsmäßigkeit ausgeht - scheint die Fällung unseres Rechtsberatungsmonopols, nach dem letzten Entwurf des Bundesministeriums der Justiz unter Verweis auf den nationalsozialistischen Ursprung und der möglichen Kollision mit höherrangigem deutschen und europäischem Recht beschlossene Sache.
Was nun ?
Wenn wir uns auf die Grundwerte des Rechtsanwaltes besinnen, insbesondere die Unabhängigkeit – ist es dann nicht gesellschaftspolitisch bedenklich – ja sogar fatal - die Beratung des Bürgers Institutionen zu überlassen, die nicht unabhängig sind, sondern ganz andere Ziele verfolgen.

Der Anwalt ist Organ der Rechtspflege und muss unabhängig die Interessen seines Mandanten vertreten.
Noch am 13.10.2003 hat der BGH beschlossen, dass einem Anwalt der gleichzeitig GF einer Immobilien GmbH war die Zulassung wirksam entzogen wurde, weil man hier einenInteressenkonflikt gesehen hat.Die Unabhängigkeit und die Integrität des Anwaltes sowie dessen maßgebliche Orientierung am Recht und an objektiven Interessen seiner Mandanten sollen durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufes nicht gefährdet werden (BVerfG NJW 2002, 503).Und jetzt sollen Autowerkstätten, Versicherungen und Banken die Mandantenberaten...

(Lenin meldet sich)
Beseelt von den Schriften des Trierer Kollegen Karl Marx erhebt sich Lenin unter den Trümmern des Sozialismus aus seinem Grab und ruft uns zu:
“ Ihr Anwälte steht geschlossen auf gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz ! Lasst nicht zu , dass das „Kapital“ den Arbeiter den Bürger berät ! Ihr seid der einzige Ausweg aus der geistigen Sklaverei !“

Lenin wusste schon 1913, dass das Kapital den Bürger unterdrückt, die Kleinbesitzer ruiniert und eine Armee von arbeitslosen Anwälten erzeugt.

Bei soviel demagogischer Politpropaganda verfallen wir kurz ins Grübeln und kommen zu dem Schluss, dass es so schlimm schon nicht kommen wird.
Außerdem sind wir Juristen, wir haben es seit jeher gelernt uns nicht gegen Gesetze zu stellen, sondern die neuen Gesetze anzuwenden und uns damit zu arrangieren und immerhin haben wir die Zeichen der Zeit erkannt und werben schon jetzt mit dem Motto:
Vertrauen ist gut – Anwalt ist besser
- und damit ist es auch schon wirklich genug und wir entlassen Lenin den alten Miesepeter.

(Blick in die ferne Zukunft)
Wer im Blick auf die Zukunft lebt, ist automatisch mit der Frage nach den Folgen verbunden.
Den Lateinern war ein Sprichwort geläufig, das sich noch heute am Leipziger alten Rathaus befindet:
"Quidquid agis, prudenter agas, et respice finem"
(was immer du tust, tue es weise und bedenke die Folgen),

Um uns nun zu überzeugen, dass es so schlimm nicht kommen wird, wagen wir daher einen Blick in die Kristallkugel. Wie sieht die Rechtsberatung im Jahre 2015 aus ?


Der Nebel in der Kugel hebt sich:

Im Jahre 2015 ist die Rechtsberatung revolutioniert, die Frisöre beraten schwerpunktmäßig zum Familienrecht, die Rechtshostess begleitet den Mandanten bei den täglichen Geschäften und für diejenigen bei denen es schnell gehen soll gibt’s "Check and Drive" das Drive In für die Rechtsberatung.
Die Zahl der Rechtsanwälte hat drastisch abgenommen. Die verbliebenen haben sich nach viel Fortbildung in einer Art Sekte gefunden die „Zeugen Justitias“, um schließlich von der Kommission der freien Rechtsberater verboten zu werden, weil die Rechtsanwälte in Drückerkolonnen die Bürger an der Haustür belästigen mit: "Dürfen wir mit Ihnen über das Bürgerliche Gesetzbuch reden?".
Oh Schreck ! Dieser kleine Ausblick in eine uferlose Zukunft gibt uns Recht – wir müssen uns Sorgen machen !

(Der Anwalt – Geliebter Feind - Enemy Mine?)
Aber wie kommt es, dass dieser Umschwung so leicht vonstatten geht ? Vermisst uns denn niemand ? Die Rückkehr ins Mittelalter wäre offensichtlicher, wenn es um medizinische Versorgung ginge. Völlig undenkbar im Gesundheitswesen den Markt für neue Dienstleister zu öffnen, beispielsweise Zusatzservice Zahnbehandlung in der Autowerkstatt oder günstige Blinddarmoperationen und Knochenbruchbehandlung in der Metzgerei.
Warum aber wird so leicht auf den unabhängigen hochqualifizierten Rechtsberater verzichtet ? Hat es vielleicht etwas mit unserem stetig sinkenden Ansehen in der Bevölkerung zu tun ?
Die neuste Studie des Allensbacher Institutes zum Berufsprestige belegt es. Besonders dramatisch fällt in der Studie auf, dass wir vom Ansehen in der Bevölkerung her noch hinter den Lehrern liegen.

Ein schlechter Ruf, fehlende Transparenz bei den Kosten, großes Misstrauen des Bürgers gegen den „Winkeladvokaten“ ? Ist das so ? Haben wir es verpasst unseren Berufsstand und die Vorteile die er für den Bürger bietet transparent darzustellen ?

Was macht uns denn eigentlich aus ?

(Qualität anwaltlicher Tätigkeit)
Unsere Grundwerte sind in §§1-3 BRAO formuliert:
Der Rechtsanwalt ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.
Die Bundesrechtsanwaltskammer streicht die wesentlichen Vorteile der anwaltlichen Beratung heraus:
· Unabhängigkeit
· Verschwiegenheit
· Loyalität

Der Anwalt ist als Verteidiger des unabhängigen Zugangs zum Recht – als Grundpfeiler der Demokratie nicht hinwegzudenken.
Mit diesen anwaltlichen Grundwerten hebt sich der Anwalt deutlich von der nicht anwaltlichen Konkurrenz ab.

(Auf der Reise mit dem Zeitgeist)
Aber schwimmen wir damit nicht sogar gegen den Zeitgeist ?
Unsere Gesellschaft lässt sich ganz treffend mit dem Zitat des römischen Komödiendichters Plautus beschreiben:
Homo homini lupus
Der Mensch ist des Menschen Wolf.
Da wird betrogen, getrickst, gemauschelt und gelogen was das Zeug hält. Da wird der Geiz geil, das Regelbrechen cool und der Egoismus sportiv. Bewundert wird der Geldadel, der dekadente Luxus – die Frage woher das Geld kommt – auf wessen Kosten Gewinne gemacht wurden – Betrug, Drogen, Übervorteilung – interessiert nicht . Kein schlechtes Gewissen, weil man doch nur tut, was alle tun ! Immer den eigenen Vorteil im Auge, lautete das Motto:
„ich, ich, ich“
„Der Zweck heiligt die Mittel“
„Der Ehrliche ist der Dumme."
„Redlichkeit währt am längsten, aber Mogeln geht schneller."

Feste Grundsätze und Werte scheinen sich aufzulösen.

Was können wir tun, um zu verhindern, dass der Gesamtpegel unserer ethischen Grundausstattung immer weiter sinkt und wir eines Morgens in einer totalen Wolfsgesellschaft aufwachen?

(Vorschlag)
Hierzu müssen wir uns ganz konkret auf unsere Werte als Anwalt besinnen um diese dann klar nach außen transportieren und kommunizieren.

Es geht nicht nur darum die Qualität der anwaltlichen Beratung heraus zu streichen
Es geht nicht nur darum die Angemessenheit zwischen Preis und Leistung zu zeigen
Es geht auch darum zu zeigen, was der Beratung der Rechtsdienstleister fehlt.

Die Möglichkeit für jeden Bürger zu dieser differenzierteren Betrachtung müssen wir schaffen.

(Berufsethik und Berufsethos)
Die Tätigkeit des Anwaltes ist kein "Job", keine flüchtige, oberflächliche und jederzeit austauschbare Leistung.
Der Rat so nebenbei durch den Finanzdienstleister verlangt keine festen Bindungen, weder zwischen Personen noch an die Sache selbst.
Mit wahrer Rechtsberatung, dem Selbstverständnis und dem Berufsethos eines Anwaltes hat all das nur noch sehr wenig gemein.
Denn ein richtiger Beruf ist doch eine ganze Menge mehr. Die Liebe zum Beruf, die gibt es in der Anwaltschaft noch, ja sie ist eigentlich selbstverständlich. Beruf ist hier immer auch ein wenig Berufung und damit eine enge Bindung zu dem, was man tut. Das Erlernen eines Berufes und seine Ausübung hat sehr viel mit Werteerfahrung zu tun. Gerade der Beruf des Rechtsanwaltes fällt einem nicht in den Schoß, sondern man muss ihn von der Pike auf erlernen. Dazu gehören neben zwei juristischen Staatsexamen, großer Wissens- und Erfahrungsschatz, Unermüdliches Streben nach Qualität, Disziplin, Standfestigkeit, das Ertragen von Frustration, die Fähigkeit zur Selbstmotivation, Flexibilität, Fortbildungswille und vieles, vieles mehr. Erreichen kann man all dies nur mit einer gehörigen Portion Berufsethos!
Rechtsdienstleistung reicht dafür nicht aus.

Wir sind mutig, innovativ und treten engagiert für unsere Mandanten ein – dies deutlich machen und so das gesamte Marktumfeld verändern ist unsere Aufgabe.

Wer etwas kann, hat eine solide Grundlage für Vertrauen in die eigene Stärke. Aus der Sicht der neuen Rechtsdienstleister eine ganz gefährliche Sache: das Vertrauen der Rechtsanwälte in die eigene Stärke, Stolz auf das eigene Können, Selbstbewusstsein und Kraft für die Positionierung am Markt und die Fähigkeit, die kompliziertesten Probleme der Mandanten hervorragend zu lösen.

Gemeinsam müssen wir uns finden und gegenüber unsittlichen Geschäftspraktiken und abhängiger Nebenbeiberatung entschlossen „Nein“ sagen. Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen steht ganz in der Tradition der anwaltlichen Selbstverwaltung und Organisationen. Auf Dauer ist man alleine nichts, aber gemeinsam, in der Berufsgemeinschaft, kann man viel erreichen.

Auch das ist Teil des Berufethos der Anwaltschaft.

Moral und Ethik haben für uns Anwälte gerade im Angesicht des neuen RDG strategische Bedeutung. Da die sittlichen und moralischen Grundsätze auch subjektiven Einordnungen unterliegen, und nicht jeder Anwalt alle moralischen Grundsätze für sein berufliches Handeln mit seinen Berufsgenossen teilt, muss sich jetzt jeder von uns die Frage stellen:
„Was bedeutet für mich persönlich Berufsethos des Anwaltes ?“

(Schlusswort)
Auch hier und heute wird die uralte Frage, wie man denn vom Sein zum Sollen kommt, nicht allgemeinverbindlich geklärt werden können. Es war Hans-Magnus Enzensberger, der die drei berühmten Fragen Kants für unsere Gegenwart so beantwortet:
· Was können wir wissen: Nichts genaues !
· Was sollen wir tun: Gelassen bleiben und einigermaßen anständig!
· Was dürfen wir hoffen: Nichts Sicheres !
Jürgen Habermas spricht von der "neuen Unübersichtlichkeit". Sie auszuhalten und in ihr den eigenen Weg in seiner Berufung als Anwalt zu finden, bleibt die Aufgabe jedes einzelnen von uns.
Zum Schluss bleibt eins doch ganz sicher:
Anwälte sind und bleiben mit Recht am Markt !



Eva Kreienberg/Rednerwettstreit DAT 2006/3.Preis